Dass sich Deutschland durch den jährlichen Zuzug von Tausenden von Menschen anderer Länder, anderer Religionen, anderer Kulturen ständig verändert, ist ein Vorgang, der im historischen Kontext der Globalisierung zur europäischen Normalität geworden ist. Die Integration dieser Immigranten und Flüchtlinge wird zurecht als ‚Jahrhundertaufgabe‘ begriffen, aber sie erzeugt bei den einen Wut, blinde Wut und macht auch Angst – sicherlich nicht allen Menschen aber doch wohl vielen: Angst vor ‚Überfremdung‘, Angst vorÜberforderung, Angst vor Kontrollverlust, d. h. Angst dass wir es trotz guter Vorsätze und trotzig-aufmunternder Worte der Kanzlerin doch ‚nicht schaffen‘.[1] Bundespräsident Joachim  Gauck sagte kürzlich: „Unsere Herzen sind weit, aber unsere Mittel sind begrenzt“. Für einige fehlgeleitete ‚Patrioten‘ am rechten Rand ist die Angst der Bürger ein einträgliches Geschäft geworden.

Diffuse Angst jedoch, gepaart mit grundsätzlicher Ablehnung aller fremden Einflüsse, gerät in Gefahr, rassistische Ressentiments zu entwickeln, oder gar Wut und Gewaltattacken gegen Andersdenkender zu starten, wie z. B. gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Vize Sigmar Gabriel. Ihnen wünschte eine PEGIDA-Demonstration in Dresden am 13. Oktober 2015 auf Transparenten den Galgen wegen ihrer angeblichen zu weit gehenden Offenheit für Fremde. Diese Verrohung der Protest- und Demonstrationskultur unter der Minderheit der Rechtsradikalen hat damit – so wie es scheint – eine neue Qualität erreicht[2]: statt nur Politikverdrossenheit nun Politikverachtung, und sogar Messerattacken auf Politiker, die sich für eine rasche und humane Eingliederung von Flüchtlingen einsetzen wie die Kölner Oberbürgermeisterin-Kandidatin Henriette Reker.

Heut stellt sich die Frage: Wie sollen wir in einer kulturell-religiös sehr heterogen gewordenen Gesellschaft zusammen leben? Beispielsweise finden es hierzulande 81% der muslimischen Jugendlichen wichtig, an Gott zu glauben, bei den anderen, meist christlichen Jugendlichen sind es dagegen nur 38% – d. h. ein gutes Drittel[3]. Brauchen wir trotz aller Unterschiede gemeinsame Werte oder ein überkonfessionelles Leitbild? Ist es berechtigt, die Neuankömmlinge umstandslos auf das deutsche Grundgesetz und den bei uns geltenden Moralkodex zu verpflichten – als der verbindliche moralische Maßstab für alle? Kommen nicht Menschen aus Syrien, Ägypten, Eritrea oder Afghanistan zu uns, die auch ihre eigenen moralischen Wertmaßstäbe haben, die sie in ihrer religiösen Erziehung genossen haben und die in einigen Punkten von unseren abweichen? Sind wir berechtigt, weil wir die Macht dazu haben, von den Migranten die Aufgabe ihrer kulturell-religiösen Identität zu verlangen, wenn diese von unseren Soll-Vorschriften abweichen? Müssen wir uns nicht auch auf die Bewältigung der ‚Jahrhundertaufgabe‘ mit mehr Offenheit, Flexibilität und Gelassenheit einstellen – nicht nur materiell sondern auch mental und in unserem Toleranzverständnis? – Auf diese Fragen versuche ich im Folgenden einige vorläufige Antworten zu geben.

Wenn sich Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen auf engem Raum und in großer Zahl begegnen – auch ein Merkmal der Globalisierung -, dann müssen alle lernen, dazulernen, manchmal umlernen, sich öffnen für Neues, für Fremdes. Betrachten wir folgendes Beispiel, das zeigen soll, wie rasch man sich von einseitig interpretierten und verbrauchten Begriffen des politischen Alltags irreleiten lässt. Dschihadisten sind für uns im Allgemeinen Furcht erregende Krieger, die im Namen Gottes Gewalt anwenden und gegebenenfalls auch Gegner oder Feinde töten. Ein junger Muslim hingegen lernt in der Koranschule, der Moschee oder hier bei seinem Lehrer oder Mullah, dass der Begriff Dschihad ursprünglich und eigentlich bis heute „sich anstrengen“ bedeutet, d. h. „das Beste von sich geben“, das Ringen in seinem Innern, um sich selbst gegen Hochmut und Ignoranz gegen andere zu läutern. Der Prophet Mohammed nannte dies den großen Dschihad, die tägliche Anstrengung, während er als kleinen Dschihad den äußeren militanten Kampf gegen Ungläubige bezeichnete, der übrigens auch nur zu Verteidigungszwecken erlaubt war[4] (nach). Es wäre doch gar nicht so verkehrt, wenn auf dem Schulhof jugendliche Muslime mit ihren christlichen, jüdischen, atheistischen, buddistischen Klassenkameraden über die Relevanz des so verstandenen Dschihad zusammen diskutieren würden.

Angesichts der 60  Millionen Flüchtlinge auf der Welt und der im Gang befindlichen „Völkerwanderung“[5] von Süd nach Nord[6], von der Dritten Welt nach Europa – möchte ich mit einer historischen Bewertung der Globalisierung beginnen (Tetzlaff 2008), – ein permanent stattfindender Prozess der Entgrenzung und Neuverflechtung, der durch das globale Internet speziell für Migrationswillige und Flüchtlinge von brennender Aktualität ist. Man sieht wie andere leben und fühlt sich in seinem Wunsch nach einem besseren Leben beflügelt. So wie wir sie heute als vielseitige Begegnung von Bürgern aus vielen Ländern und Kulturen der Erde erleben, ist die Globalisierung das vorläufige Ende einer historischen Entwicklung, die mit dem europäischen Expansionismus zu Zeiten Christopher Kolumbus vor ca. 500 Jahren begann. Unter den vier Großkulturen der Zeit – China, Byzanz, Islam und Abendland – hat nur der christliche Westen (mit seiner militanten Papstkirche an der Spitze) eine Zivilisation der territorialen und kulturellen Ausdehnung und Unterwerfung fremder Völker hervorgebracht. Erst Lateinamerika und Asien, später auch Afrika wurden bis zum 2. Weltkrieg gewaltsam kolonisiert – und partiell auch europäisiert. „Europäischer Expansionismus ist ein zentraler Aspekt des europäischen Sonderwegs“[7]. Was passierte dabei? Tausende von meist kleinen Gemeinschaften in Übersee, die vor der Ankunft der Europäer ein Eigenleben führten, die sich selbst ernähren konnten, die einen Anführer hatten, der auch Kriege gegen Nachbarn führte, die auch ihre eigenen Götter und Werte hatten, – all diese Völker wurden gegen ihren Willen in ein kapitalistisches Weltsystem integriert – meist nur als Lieferanten von Rohstoffen, von Sklaven, Elfenbein, Kautschuk bis hin zu Kaffee, Baumwolle, Erdöl und Uran. Kein Zweifel, einige Einheimische – die Bildungs-Eliten – profitierten von diesem kolonialen System der europäischen Fremdherrschaft, die Mehrheit der Menschen aber blieb arm, abhängig von außen und in ihrer kulturellen Würde meist beschädigt, weil abgewertet. Vor dem Ersten Weltkrieg wollten zum Beispiel die Kolonial-Deutschen in ihren Kolonien in Afrika aus „Negern“ Menschen machten; sie ignorierten dabei, dass sie mit Peitsche, Bibel und Schnaps aus Menschen „Neger“ machten.

Nun folgen noch einige weitere Beispiele für unsere unerwünschten Einwirkungen auf Länder Afrikas und des Nahen Ostens:

  • Im Iran stürzten im Jahr 1953 Geheimdienste von USA und Großbritannien den nationalistischen Premierminister Mossadegh und setzten dann die Shah-Marionette ein, dessen diktatorische Herrschaft den Aufstieg Ayatollah Khomeinis begünstigte;
  • in Afghanistan intervenierten erst die Engländer, dann die Russen, dann die US-Amerikaner und schließlich auch die Deutschen gegen Einheimische, allesamt vergeblich[8];
  • in Ägypten intervenierten im Zuge des Suez-Krieges von 1956 Frankreich, England und Israel militärisch gegen Abdel Nasser, den Held der arabischen Renaissance;
  • im Irak zettelte im Jahr 2003 ein US-amerikanischer Präsident einen Aggressions-Krieg an und schuf damit die Voraussetzung für die Verwüstung des Landes durch die Mörderbanden des so-genannten Islamischen Staates;
  • in Syrien, dem 1919 von den Völkerbunds-Mächten England und Frankreich die politische Unabhängigkeit verweigert worden war (trotz solcher Versprechen während des Ersten Weltkriegs, als man die Araber gegen Deutschland brauchte) intervenierten mehrere ausländische Mächte sowohl militärisch (u. a. USA, England, Frankreich, Russland) als auch diplomatisch, ohne die syrische Zivilbevölkerung vor Giftgas-Einsätzen und Streubomben-Angriffen des Asad-Regimes schützen zu können[9].
  • Der ehemalige-EKD-Vorsitzende Prof. Wolfgang Huber hat kürzlich im Hinblick auf den Genozid in Syrien angemerkt, dass militärische Interventionen von außen, auch gut gemeinte, großes Leid und Unheil anrichten könnten, aber man solle nicht vergessen, dass auch das Gegenteil zuträfe: Das Unterlassen von militärischen Interventionen im Dienst der Menschlichkeit – Srebrenica 1995 (als die Welt zusah, wie Serben 8000 Muslime, bosniakische Männer, ermordeten), ferner Ruanda 1994 und Syrien von 2011 bis heute –kann großes Leid der Zivilbevölkerung zur Folge haben, – Leid, das man im Sinne der neuen humanitären Völkerrechtsnorm „Responsibility to protect“, d. h. „Schutzverantwortung der Staatengemeinschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ hätte verhindern können (im Fall Syriens die USA mittels einer Flugverbotszone). Es kommt also sehr auf die besonderen kulturellen-historischen Umstände an, ob und wieweit Freiheitsrechte realisiert werden können und wann die scheinbare Tugend der Gewaltvermeidung und Toleranz gegenüber Verbrechen gegen die Menschlichkeit in eine Sünde der unterlassenen Hilfeleistung von Schutzbedürftigen umschlägt.
  • Auch beim Sturz des libyschen Diktators Gadafi spielte der Westen – diesmal mit Ausnahme Deutschlands – eine unrühmliche, weil arrogante Rolle: Seitdem versinkt das Land im Chaos.

Und noch ein letztes Beispiel: Vor einem halben Jahrhundert befreiten sich die kolonisierten Völker des sub-saharischen Afrikas, setzten gutmütig die Modernisierung ihrer Wirtschafts- und Sozialsysteme fort, die die Kolonialherren begonnen hatten, um dann heute zu erleben, dass für die junge Generation ihrer Staaten – etwa 20 Millionen in muslimischen Ländern des Nahen Ostens, und mehr als 100 Millionen in afrikanischen Ländern – kein Platz mehr ist: nicht genug Jobs, Slum-Hütten statt Häuser, niedrige Einkommen für viel zu große Familien, Malaria und Aids, und dazu noch die Land-Enteignung im Zuge des globalen ‚land-grabbings‘ seitens der internationalen Agrar-Konzerne. Heute wollen die Ausländer nur noch die Bodenschätze und das weltweit knapper werdende Ackerland Afrikas, nicht mehr die dort lebenden Menschen – in der Denke der ‚global players‘ sind sie systemisch irrelevant geworden[10].

Es fallen uns jetzt – gewissermaßen – die Schattenseiten der Globalisierung vor die Füße, auf die Füße  – d. h. ein Wirtschafts- und Sozialmodell, das sich als großartig für die einen und als Fluch für die anderen entpuppt hat: mit einem Wort: Es garantiert keine nachhaltige menschenwürdige Entwicklung für die Menschheit. Und wenn man dann noch die Hauptverursacher des lebensbedrohlichen Klimawandels hinzurechnet – USA, Europa, China – , der die Wanderung von Millionen von Klimaflüchtlingen wohl unvermeidlich machen wird[11], dann wird die vollmundige Ankündigung der politischen Führer der Welt auf der jüngst stattgefundenen UN-Konferenz völlig unverständlich, in wenigen Jahren – bis 2030 – Hunger und Armut in der Welt überwunden zu haben[12]. So etwas grenzt an den Versuch zur Volksverdummung.

Natürlich ist dieser kursorische, aber notwendige Rückblick auf die historischen Nord-Süd-Beziehungen nur eine grobe Skizze (und in Wirklichkeit ist alles viel komplexer), aber ich finde es wichtig, dieses Narrativ einer Jahrhunderte alten, nicht sehr glücklichen Begegnung Europas mit der überseeischen Welt im Bewusstsein zu haben; denn die ankommenden Flüchtlinge tragen ihr eigenes Geschichtsbild mit sich und in diesem dürfte die Erinnerung an die Arroganz des Westens noch nicht verdrängt sein. Vielmehr fühlt man sich seit Jahrhunderten vom Westen in paternalistischer, wenn nicht gar feindlicher Absicht mental belagert (Diner 2006 , Lewis 2002, Armstrong 2001, Mernissi   , Kramer 2009).

Möglicherweise ist so auch das von vielen Muslimen und Nicht-Muslimen beklagte „Schweigen der Ulama“ zu Fragen der Gegenwart zu erklären[13]. Einst galt der Grundsatz „ex oriente lux“ – aus dem Osten kam das Licht -, und heute? Viele Gläubige wünschen sich ein deutliches Wort der islamischen Gelehrten und Imame zu den Menschenrechten, zur Gewalt-Frage, zum Umgang mit Frauen und schlechthin zum säkularen modernen Verfassungsstaat. Gelten alle Scharia-Vorschriften auch für Muslime, die in einer nicht-muslimischen, säkularen Gesellschaft leben? Wie soll die muslimische Jugend das Recht auf Religionsfreiheit verstehen, wenn doch auf Konversion oder Apostasie theoretisch-theologisch die Todesstrafe steht? [14]

Und dieser Rückblick auf unsere gemeinsame aber asymmetrische Vergangenheit ist auch für uns wichtig, wenn wir uns nun beherzt wie Angela Merkel an die Herkules-Aufgabe machen und machen müssen, Millionen von Menschen aus Staatszerfallsländern aufzunehmen und wenn möglich menschenwürdig zu integrieren. Ob wir diesmal mehr Empathie und Geschick aufbringen im Dialog mit Anderen[15]? Mir geht es hier und heute nicht darum, zu streiten, wie vielen Kriegs-Flüchtlingen und Asylbewerbern Deutschland ein Dach über den Kopf bauen sollte – das tolerierte Maximum der Flüchtlingsaufnahme wird in der Demokratie letztlich nicht von der politischen Klasse, sondern von der Zivilgesellschaft bestimmt – ; sondern was passiert nach der ersten Hilfeleistung, nach der vollzogenen äußeren Aufnahme von Hunderttausenden in unsere Städte und Dörfer? Wie reagiert die Zivilgesellschaft[16] – ängstlicher oder wütender oder schweigender Rückzug in die eigene fremdenfeindliche Heimat-Höhle oder Einladung der hilfsbedürftigen Migranten ins gemeinsame Mehrfamilien-Haus?[17]

Im Folgenden möchte ich darüber reflektieren, was im Interesse eines fruchtbaren Dialogs an Anpassungen und an Zumutungen auf beiden Seiten auf uns zukommt und innovativ zu leisten sein wird; zum einen auf der Seite Deutschlands als Immigrationsland, das sich ja dazu bekennt, dass auch der Islam Bestandteil seiner Kultur und Geschichte sei, und zum anderen auf der Seite der muslimischen Gläubigen, die einerseits ihren Glauben behalten wollen und andererseits aber verfassungstreue Bürgerinnen und Bürger einer säkularen Gesellschaft werden sollen und wohl auch werden wollen. Dass dies möglich ist, habe ich im vergangenen Jahr in einer Diskussion mit dem Hamburger Schura-Vorsitzenden Dr. med. Mustafa Yoldaz  erlebt, der auf die Frage aus dem Publikum, ‚Gibt es aber nicht für Muslime bei aller Integrationsbereitschaft und erwiesener Integrationsfähigkeit ein Problem mit der Scharia?‘ – mit dem bemerkenswerten Satz antwortete: „Für mich in Deutschland ist das Grundgesetz die Scharia“ – d. h. der letztgültige Maßstab bei möglichen Konflikten zwischen Religion und gelebter Alltagspraxis.

Aber es gibt auch andere Erfahrungen. Ich hoffe, dass es mir meine ehemalige Studentin der Islam-Wissenschaften und der Politikwissenschaft Özlem Topcu, Absolventin dieser Universität, die heute als festangestellte Journalistin bei der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ arbeitet, verzeiht, wenn ich sie hier mit folgendem Bericht zitiere:

„Vor einigen Tagen habe ich mein Profilbild auf Facebook geändert. Wo vorher mein Gesicht zu sehen war, steht jetzt der arabische Buchstabe ‚nûn‘. Er steht für das Wort Nasara, wie arabische Muslime Christen nennen. Die Terroristen des IS schmierten ihn beispielsweise im irakischen Mossul an die Türen von Häusern, in denen Christen wohnen (auch die Häuser der Schiiten wurden markiert). Es heißt, das diese Häuser nun dem ‚Islamischen Staat‘ (IS) gehören. Ihre Bewohner wurden teilweise vertrieben oder ihnen geschah Schlimmeres. Nutzer auf Facebook und Twitter benutzen den Buchstaben nûn fortan als ein Symbol der Solidarität mit den verfolgten und bedrohten Christen.

Auf mein Profilbild erhielt ich Reaktionen von Muslimen, die ich so nicht erwartet hätte. Was haben die IS-Terroristen mit uns zu tun? Warum wirfst du uns mit diesen Freaks in einen Topf? Muss man sich jetzt als Muslim von jedem Scheiß distanzieren? Generalverdacht! Islamfeindlichkeit! Israel beschießt UN-Schulen in Gaza! Der Westen hat den IS doch überhaupt erst geschaffen! Und was ist mit dem von Christen begangenen Unrecht auf der Welt? Kreuzritter! Islam ist Frieden! Ja, klar, du als Türkin bei einer deutschen Zeitung musst natürlich so etwas machen, damit du bei den Deutschen mitspielen darfst“[18].

Ja, die religiösen Gräben sind noch tief – aber das Positive daran ist die Tatsache, dass es hierzulande unter Berufung auf das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit möglich ist – oft besser als in den islamischen Ländern selbst – , die Kontroversen über das richtige Islam-Verständnis und die richtige Koran-Auslegung zwischen tief gläubigen Menschen verschiedener Glaubensbekenntnisse auszutragen – und zwar gewaltfrei. Das ist die einzige Diskurs-Bedingung, auf die sich – nach meinem Verständnis – alle verpflichten lassen müssen. Was die innerislamische Diskussion über den rechten Glauben prinzipiell so schwer macht, ist die bekannte Tatsache, dass es keine zentrale religiöse Lehrautorität gibt, die eine für alle Sunniten und Schiiten verbindliche Koran-Interpretation vorlegen könnte; und dass daher der Koran seit Jahrhunderten einem Prozess ständiger Auslegung seitens diverser Gelehrter unterliegt – von den Anhängern des Aristoteles bis zu den heutigen Reformverweigerern. Letztere würden die Ansicht vertreten, dass der Islam als Lehrgebäude abgeschlossen sei, sich nicht neuen Erkenntnissen öffnen müsste und dass „auf die Fragen des 21. Jahrhunderts die Antworten aus dem 9. Jahrhundert ausreichen“ würden (Khorchide 2015, S. ..).

Mein bescheidenes Anliegen ist es, Muslime (und Nicht-Muslime) in unserem Land darin zu bestärken, sich mit der teilweise großartigen, teilweise tragischen Geschichte ihrer eigenen Kultur und Religion intensiver zu beschäftigen und die große Bandbreite religiöser und philosophischer Erkenntnisse zu entdecken! Zum Beispiel die geistreichen Diskurse mittelalterlicher und neuzeitlicher Gelehrter darüber, wie sich Vernunft und Glaube miteinander vereinen ließen[19]. Wohl alle Reform-Muslime sind sich in dem einen Punkt einig, dass die „Amputation des arabischen wissenschaftlichen Geistes“ (Mernissi) durch angst-besessene Eliten überwunden werden müsse. ‚Wir müssen wieder mehr auf Mündigkeit und Vernunft setzen‘, auf Öffnung hin zu anderen Kulturen wie es die Muslime in Bagdad des 9. Jahrhunderts getan hatten, nach der Aufforderung des Propheten Mohammed ‚suchet Wissen und wenn ihr bis China gehen müsstet‘[20]. Es ist gut und wichtig, wenn wir der Minderheit der geistreichen Reform-Befürworter und auch ihren Widersachern hier im Westen respektvoll eine Arena für gewaltfreie Konfliktkultur bieten können.

Nicht verschwiegen werden soll aber auch, dass es Skeptiker gibt, wie etwa den Arabisten Ludwig Wick, der kürzlich in seiner Habilitationsschrift „Islam und Verfassungsstaat. Theologische Versöhnung mit der politischen Moderne?“ zu dem Urteil kam: “ Solange also die umma vom Individuum zugunsten einer höheren Ordnung den Verzicht auf grundlegende Persönlichkeitsfreiheiten“, z. B. das Recht auf Meinungs- und Glaubensfreiheit, fordert (Wick, S. 176), „wird es keinen echten Religionsfrieden hier zulande“ und auch keine nachhaltige Wiedergeburt der einst großen arabischen Kultur geben können[21].

Und wie eine historische Widerlegung oder zumindest Einschränkung dieser pessimistischen Aussage ereignete sich im Jahr 2011 -der „Arabische Frühling“, der wenigstens in einem Falle – im Falle Tunesiens – gezeigt hat, dass der Aufstand gegen den politischen und „kulturellen Erstickungstod einer frustrierten Jugend“ (Mernissi 1992, 65) zu einem erfolgreichen Dialog zwischen politischen und religiösen Kontrahenten um die Zukunft des Landes führen konnte[22]. Das Nobelpreis-Komitee in Oslo hat dem tunesischen „Quartett für den Nationalen Dialog“ den diesjährigen Friedensnobel-Preis zugesprochen. In Tunesien hatte vor vier Jahren der „Arabische Frühling“ begonnen, der zunächst den Diktator verjagt und dann eine soziale und kulturelle Revolution seitens der unterdrückten Zivilgesellschaft ausgelöst hatte. Als auch diese in Tunesien – wie in Libyen und Ägypten – angesichts zahlreicher politischer Morde und Selbstmord-Anschlägen von Islamisten auf Kultur- und Touristenstätten in einen Bürgerkrieg abzugleiten drohte, in welchem sich Islamisten, gemäßigte Muslime und säkulare Reformer verständnislos gegenüberstanden, da konstituierte sich 2013 ein Quartett von vier großen Verbänden zu einem pragmatischen Zweckbündnis des Dialogs.

Reden statt schießen!“. Das war ihr Motto, und dieses zivilgesellschaftliche Bündnis war stark und konfliktfähig genug, auch die streitenden politischen Parteien an einen Tisch zu bringen und einer Verfassung zuzustimmen, die das kulturelle-islamische Erbe bewahrte und gleichzeitig die säkularen Werte der modernen Welt garantierte. Daher heißt es zu Recht in der Begründung des Nobelpreiskomitees, dass „das tunesische Volk das Fundament für eine nationale Bruderschaft gelegt“ hätte, das anderen Ländern als Beispiel dienen möge[23].

Ich komme nun zur zweiten Seite des Dialogs – Was müssen wir hier in Deutschland besser machen oder dazulernen, um den Dialog mit den Muslimen und ihre Integration in deren neuen Heimat zu erleichtern[24]. Befragen wir zuerst den bekannten Historiker Heinrich August Winkler – ein Experte für Deutsche Geschichte. Zum Thema der kulturellen Integration hatte er folgendes zu sagen[25]

„Die Bedingung der Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens von Menschen aus höchst unterschiedlichen Kulturen in einem [westlichen] Staat [wie der BRD] ist die Anerkennung einer gemeinsamen politischen Kultur, nämlich jener des Westens.

Diese beruht auf der unbedingten Achtung der Menschenrechte, darunter der Religionsfreiheit und der Gleichstellung von Mann und Frau. Ohne die Einübung und Verinnerlichung dieser Werte von früher Kindheit an kann Integration nicht gelingen. Die Zukunft der westlichen Demokratien hängst davon ab, ob sie diese Herausforderung erkennen – und meistern“

Und was versteht Winkler unter den westlichen Wertenals Kern einer gemeinsamen Kultur im neuen Deutschland?  Er nannte die folgenden fünf:

  • Die Anerkennung der unveräußerlichen Menschenrechte mit universeller Gültigkeit;
  • die Herrschaft des Rechts; des Prinzips der Gewaltenteilung; der Volkssouveränität und die repräsentativen Demokratie“ (Ebd.).

Würden Muslime, die heute aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder Ägypten nach Europa flüchten, weil sie in ihrer Heimat an Leib und Leben meist durch muslimische Herrscher bedroht sind, dem säkularen Kulturverständnis von Prof. Winkler ohne weiteres zustimmen können?

Es wäre unehrlich, hierauf mit einem klaren „Ja“ antworten zu wollen[26]. Denn auch eine solche vom sympathischen Wunschdenken geprägte Position läuft Gefahr, eine wichtige Menschheitserfahrung zu übersehen: Politische Freiheiten und fortschrittliche gesellschaftliche Rechtsnormen haben eine meist konfliktreiche Vorgeschichte, d. h. eine Generationen lange Entstehungsphase mit offenem Ausgang, während der kulturelle Lernprozesse stattfinden und gemeinsame Erfahrungen ihren institutionellen Niederschlag finden. Von fremden Zuwanderern die Übernahme der Normen und Werte der Einwanderungsgesellschaft zu erwarten, käme einer mentalen und spirituellen Überforderung gleich: Auch bei ehrlichem Willen zur Integration könnte er seine eigene in der Heimat erworbene Identität nicht einfach aufgeben (z. B. was seine verinnerlichten Verhaltensnormen gegenüber Kindern, dem Ehepartner, dem Geistlichen oder gegenüber Andersgläubigen angeht). Auch den Immigranten und Flüchtlingen von heute ist daher aus Gründen der Fairness dieses Anrecht auf eine angemessene Lern- und Eingewöhnungsphase zuzugestehen, in denen eine Annäherung an zentrale Werte und Rechtsnormen der Mehrheitsgesellschaft erfahren (in Integrations-Kursen) und gegebenenfalls einverleibt werden kann[27]. Die erfolgreiche Gestaltung dieser Phase ist in erster Linie eine Aufgabe des Staates, der Zivilgesellschaft und der islamischen Kulturgemeinden (die auch schon begonnen haben, in dieser Richtung zu arbeiten). Gleichwohl ist die Entstehung von Parallelgesellschaften mit kulturell-religiösem Eigenleben aus Trotz und Unverständnis wohl kaum ganz vermeidbar, – wenigstens für eine heikle Übergangszeit ist mit ihnen zu rechnen. Das geschieht nicht ohne Risiken; denn die Verlockung ist groß, sich den Anforderungen des säkularen Rechtsstaats klammheimlich zu entziehen und sich etwa so-genannten Friedensrichtern anzuvertrauen, der am Grundgesetz vorbei Recht spricht (Wagner 2011).Dabei soll nicht etwa eine kulturelle Assimilation der Fremden an das Autochthone der Mehrheitsgesellschaft gefordert oder erwartet werden – die Zeiten der ‚kulturellen Schmelztiegel‘ sind vorbei -, sondern ein kollektiver Lernprozess, der beide Seiten verändern wird und währenddessen eine gemeinsame Zukunft auf der Grundlage von unterschiedlichen Vergangenheiten erstritten werden muss.

Was das Ergebnis sein wird und wie lange es dauern wird, bis ein geregeltes Neben-  und Miteinander der unterschiedlichen kulturell-religiösen Milieus in einer neuen pluralistischen Netzwerk-Gesellschaft mit reichem Kulturgut erreicht sein wird, kann heute niemand sagen, aber heute werden dazu die Weichen gestellt. Für eine kritische Übergangszeit sind auch mit heftigen Konflikten zu rechnen – genau wie in England, Frankreich, Kanada, USA und anderen Einwanderungsländern -, was aber mit einem neu zu erarbeitenden Verständnis von Toleranz in die rechten Bahnen zivilisierter Konfliktfähigkeit gelenkt werden muss. Aber welcher Art von Toleranz?

Wie groß die Herausforderung ist, erkennt man auch daran, dass offensichtlich auch die verschiedenen Varianten der Weltreligionen zunehmend fundamentalistische Züge annehmen. Nach der Einschätzung des französischen Islamwissenschaftlers Olivier Roy „befinden wir uns in einem historischen Übergangsprozess, in dem traditionelle Formen des Religiösen zu fundamentalistischen Formen des religiösen mutieren. Allen Mutationen gemeinsam sei, dass sie eine größere Sichtbarkeit im öffentlichen Raum anstrebten und einen Bruch mit den herrschenden Praktiken und Kulturen herbeiführten“. Die heiligen Texte (Bibel, Koran usw.) würden außerhalb jedes Kulturzusammenhangs zum Sprechen gebracht. „Das Ergebnis sei eine karge, kompromisslose und auf sich selbst bezogenen Religiosität“ (Kiefer 2015, S. 83).[28] Auch der in Münster lebende Islamwissenschaftler und Arabist Thomas Bauer hat eine ganz ähnliche Tendenz der A-Historisierung und Verengung religiöser und rechtlicher Normen bei Muslimen festgestellt, die heute, bedroht vom hegemonialen Diskurs des Westens und daher „auf der Suche nach religiöser Gewissheit“, ihre einstige Diskurspluralität eingebüßt hätten (Bauer 2014, S. 376 f.).ihre ein

Das für dialogbereite und weltoffene Muslime wünschenswerte Endprodukt eines Weges zu einer „gemeinsamen Zukunft“ hat beispielsweise Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik, als europäischen Islam bezeichnet und es wie folgt begründet:

„Gerade die arabischen Muslime sehen es als Schwäche des Westens, dass hier Gott nicht mehr ganz so ernst genommen wird. Ihre eigene Religiosität aber empfinden sie als moralische Überlegenheit und Stärke. Sie müssen lernen, dass in Europa nicht in erster Linie der eigene Glaube, sondern die Toleranz gegenüber anderen zählt. Hier geht es nicht um Gott, sondern um das friedliche und respektvolle Zusammenleben aller. Genau das ist unsere Stärke…Ich begrüße unsere europäische Säkularität[29]. Denn sie gehört zur Freiheit. Ohne diese Freiheit gäbe es beispielsweise keine Gleichberechtigung der Frau. Viele Araber, auch arabische Frauen, betrachten die weibliche Selbstbestimmung als soziale Verwahrlosung. Wir müssen unsere freiheitlichen Positionen besser begründen und verteidigen. Diese Fähigkeit ist bei uns unterentwickelt“[30].

 Und was die Muslime in Europa angeht, so warnt Ednan Aslan vor einer drohenden Fundamentalisierung des islamischen Glaubens, etwa auf dem Weg einer von Saudi-Arabien geförderten Arabisierung des Islams im Sinne des Wahhabismus, einer –so wörtlich „Verachtungstheologie“, und fordert: „Es geht jetzt nicht darum, in der Religion auf eine eigene Wahrheit zu verzichten, sondern die Wahrheit der anderen für genauso legitim zu halten wie die eigene. Das ist die Grundlage der europäischen Pluralität. Wir brauchen immer mehr einen europäischen Islam, der die Muslime zur Pluralität befähigt. Sonst bleiben die Muslime immer auf der Flucht, ohne innere Heimat“ (Ebd.).

Das sind beeindruckende Worte: Integration heißt in diesem Sinne, Muslimen auch in der Fremde, in der Diaspora, oder in dem von Muslimen und Nicht-Muslimen gemeinsam bewohnten Stadtviertel oder Dorf eine „innere Heimat“ zu ermöglichen. Ob die geplanten 200 Moscheen, die Saudi-Arabien angeblich den deutschen Muslimen spenden wird, dazu ein hilfreicher Beitrag sein kann, darf getrost bezweifelt werden. Der Whabismus, der tödliche Körperstrafen bei angeblichem Ehebruch praktiziert, verletzt deutsches Verfassungsrecht und passt nicht nach Deutschland. Das sehen die Islam-Verbände genauso.

Halten wir fest: Auf der politischen Tagesordnung vieler Einwanderungsländer, nicht nur in Deutschland, steht die Errichtung einer neuen komplexeren und kulturell ambivalenten „Heimat“, nachdem uns die Globalisierung mit ihren fundamentalistischen Herausforderungen und Zumutungen überrollt hat. In der englischen Sprache gibt es für diesen Vorgang der kultureller Erschütterung den schönen Begriff „Dis-embedding“, mit anderen Worten das Hinausgeworfen-Werden aus dem gewohnten Bett, aus den wärmenden Federn. Und der so Hinausgeworfene, dem ein frischer Wind um die Ohren weht, braucht nun eine Neu-Orientierung, einen neuen Haltepunkt, der wieder Wärme gibt: Dabei hat er idealiter zwei Möglichkeiten: Er kann entweder seiner Vergangenheit nachtrauern und sich dabei schmollend und grollend in eine mentale Höhle zurückziehen, in der er möglichst wenig von der bedrohlich wahrgenommenen Umwelt erfährt – wie PEGIDA-Anhänger[31] – ; oder aber er stellt sich mit offenem Gemüt der Veränderung seines Lebens, wird neugierig auf das Neue, Unvertraute, auf die bunte Multi-Kulti-Welt und empfängt die Migranten und Flüchtlinge mit mitmenschlicher Sympathie, aus der dann hoffentlich gute Nachbarn in einem bunten, lauten Gemeinschafts-Haus werden können.

Laut Aussagen der Berliner Migrationsforscherin Naika Foroutan ist etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung bereit, Migranten und Kriegsflüchtlinge willkommen zu heißen (so der Stand im September 2015), während ein anderes Drittel sich dagegen wehrt, Flüchtlinge aufzunehmen und die sich in ihrer Heimat-Höhle oder Religions-Höhle lautstark abschottet. Die gute Nachricht ist, dass bisher noch 30 bis 40% der Deutschen unschlüssig sind, ob sie – bildlich gesprochen – eher dem Solidaritäts-Appell von Angela Merkel folgen sollen oder eher angstgetrieben dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zustimmen sollen, der die Zuwanderung so rasch wie möglich und so hart wie nötig beschränken möchte[32] .

Zu diesem Bild passt auch, dass die offen artikulierte Fremdenfeindlichkeit besonders in solchen sozialen Milieus anzutreffen sind, in denen weniger gut ausgebildete  Menschen aufgrund ihrer eigenen prekären Lebenslage, bedroht von Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Verschuldung und Teuerung, leben und die deshalb nur begrenzte Zeit, wenn überhaupt, Solidarität mit fremden Zuwanderern aufbringen können. Es sind die „sozial Abgehängten“ – auch von den Jugendlichen gehören etwa 15 % dazu -, die schwarz für sich und das Land sehen und anfällig sind für Sündenbock-Theorien (so die Schell-Jugend-Studie 2015, nach Hamburger Abendblatt vom 14.10.2015, S. 1). In diesen Milieus sind diejenigen zu vermuten, die Brandfackeln gegen Asylbewerberheime und Flüchtlingsunterkünfte werfen und nun auch Messerattacken gegen Politikerinnen ersinnen (wie gerade in Köln geschehen). Dazu passt, eine beachtliche Mehrheit der Jugendlichen stolz darauf ist, Deutsche zu sein, die positiv in die Zukunft schaut und auch Interesse an politischem Engagement hat[33].

Aber hüten wir uns vor zu starken Verallgemeinerungen; denn auch bei Schriftstellern, Professoren und anderen Geistesarbeitern ist eine abweisende Höhlenmentalität (im oben skizzierten Sinne) anzutreffen, bis weit in die bürgerliche Mitte hinein. Ich möchte dies am Fall des 73-jährigen Schriftstellers Botho Strauß kurzaufzeigen, der sich als „der letzte Deutsche“ titulierte und seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, bald als Minderheit in einem von Fremden besetzten Land leben zu müssen. Er verstieg sich zu der Äußerung, „lieber in einem aussterbenden Volk zu leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demographischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt“ würde. Er fühle sich der Souveränität beraubt, dagegen zu sein, d. h. gegen „die Flutung des Landes mit Fremden“, den ihrer eigenen Kultur jetzt Entfremdeten, gegen die immer herrschsüchtiger werdenden politisch-moralischen Konformitäten“.[34] Das grenzt schon an Hass-Sprache.

Schließlich thematisiert er auch die kulturelle Überforderung der Migranten wenn er  schreibt: „Es ist, als gäbe man mit jeder libertären Bekundung, jeder Weisung politischer Korrektheit Verhaltensbefehle aus, denen die meisten Einwanderer nur nachkommen können, wenn sie sich von ihrem Glauben und Sittengesetz verabschieden und also eine weitere Entwurzelung hinnehmen müssen. Die Überprofilierung von Freiheit, von Zulassen und Gewähren enthält unausgesprochen die Drohung, der Willkommene habe sich säkularisiert zu verhalten oder wenig Chancen, ein integrierter Bürger dieses Landes zu werden“ (ebd.).

Den ängstlichen Höhlen-Menschen vom Schlage eines Botho Strauß (und ich vermute angesichts der kippenden Stimmung gegen die Gesinnungsethikerin Angela Merkel, dass er für viele Menschen der schweigenden gesellschaftlichen Mitte spricht) möchte ich in Erinnerung rufen, dass das kulturelle Fundament unserer Gesellschaft von seinen Mitgliedern bestimmt und verändert wird und nicht durch die einmal im Parlament verabschiedete Verfassung mit Ewigkeitswerten festgelegt ist. Noch immer gilt das Goethe-Wort: ‚Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!‘; und wenn sich die Zeiten ändern, dann müssen wir uns erneut auf das uns Wesentliche und das uns Einigende besinnen: denn „der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von (kulturellen) Voraussetzungen, die er tatsächlich nicht garantieren kann“ – wie es im berühmten und weisen Böckenförde-Paradox heißt.

Der ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde erläuterte es so: „Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Aus freiheitlicher Sicht kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewähnt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der…Gesellschaft, reguliert“[35].

Und einige Zeitbeobachter sind der Meinung, dass ein frustrierter, tendenziell fremdenfeindlicher Teil der Zivilgesellschaft dabei ist, aus der „Minimalgemeinsamkeit“, die erst die kulturelle Vielfalt bei uns möglich macht, auszuscheiden. Sie verweigert sich dem Dialog mit Andersdenkenden und igelt sich in seiner Höhle ein. Sind unsere demokratischen Integrationsmechanismen wie Schule, Bundeswehr, Kirchengemeinde, Stammtisch, Fernseh-Sendungen – bei denen an ihre Grenzen gelangt?

Die Berliner Integrationsforscherin Naika Foroutan (Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter) ist von der Courage der deutschen Zivilgesellschaft in der Flüchtlingsfrage ebenso beeindruckt wie Dr. Navid Kermani, der für seine Vermittlungsarbeit zwischen den Kulturen in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt und sich als glücklich integrierter Migrant versteht. Frau Foroutan warnt vor der Gefahr einer Radikalisierung eingewanderter Muslime, vor allem bei „jungen Männern ohne Selbstachtung“, die einer Situation der Perspektivlosigkeit anfällig für die Stärkeangebote der Salafisten“ seien. Deshalb – so fordert sie – bräuchten wir ein Leitbild für das neue Deutschland[36].

In Einwanderungsländern wie den USA hat eine Kommission bereits in den Siebzigerjahren nach gesellschaftlichen Umbrüchen ein solches Bild erarbeitet. In Deutschland sollten nun Parteien, Wissenschaftler, Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeber und Minderheitenvertreter gemeinsam nach einem Narrativ suchen, das unsere Gesellschaft in die Zukunft trägt. Das sei „nicht nur eine leere Formel. Noch bis 2001 hieß es, wir sind kein Einwanderungsland. Als sich dann die Überzeugung durchgesetzt hat, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist, hat sich auch die Politik verändert. Wir bekamen ein neues Staatsbürgerrecht mit Doppelpass, ein Zuwanderungsgesetz, ein Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Es ist also nicht eine Frage der Empirie, sondern des Narrativs, wie wir uns definieren. Nun müssen wir uns wieder fragen: Was macht dieses Land aus? Wie wollen wir hier Zusammenleben? Und wo wollen wir hin?“ (Ebd.).

Wie könnte das „Leitbild für das neue Deutschland“, das im Jahr 2015 etwa 1 Millionen Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen sich bemüht, von denen die Mehrzahl dauerhaft hier bleiben will, aussehen? Naika Foroutan verwies auf Bundespräsident Joachim Gauck, der die Einheit der Verschiedenheit beschwört, und erinnerte an das schöne Wort des Frankfurter Philosophen Theodor Adorno, dass er als Jude in Deutschland den Wunsch habe, ‚ohne Angst verschieden sein‘ zu dürfen (Ebd.).

Mit der einst von Innenminister Schäuble eingesetzten Deutschen Islam-Konferenz ist ein erster wichtiger Ansatz zur  Klärung strittiger Fragen bezüglich des Zusammenlebens von Muslimen und Christen und Atheisten in Deutschland gemacht wollen. Dabei trübte unter anderem der innermuslimische Zwiespalt zwischen Islam-Reformern und Reform-Verweigerern die interkonfessionelle Konsensbildung. So etwa erhielt der islamische Theologe Mouhamad Khorchide, der an der Universität Münster Theologen und Islamlehrer für deutsche Schulen ausbildet, Morddrohungen von Salafisten und lebt deshalb unter Polizeischutz; gleichzeitig kritisiert der Publizist ägyptischer Herkunft Hamed Abdel-Samad seinen Kollegen wegen dessen Naivität, den Islam für reformierbar zu halten. Und schließlich haben auch noch die Islamischen Verbände (die wohl weniger als ein Drittel aller Muslime in Deutschland vertreten) Ende 2013 ein Gutachten gegen ihn erstellt und fordern wegen seiner angeblichen Irrlehren seine Absetzung. Aber die Universitätsleitung hielt zu Prof. Khorchide, aber der gezähmte Dialog zwischen den streitenden Religionsinterpreten geht weiter.

Zur Leitbild-Frage hat sich auch Bundespräsident Joachim Gauck am 3. Oktober 2015 in einer Weise geäußert, dass er die von ihm begrüßte Integration von Flüchtlingen und Migranten an Bedingungen knüpfte. „Was ist das innere Band, das ein Einwanderungsland zusammenhält? Was ist es, was uns verbindet und verbinden soll?

In einer offenen Gesellschaft kommt es nicht darauf an, woher jemand stammt, sondern wohin er gehen will, mit welcher politischen Ordnung er sich identifiziert. Gerade weil in Deutschland unterschiedliche Kulturen, Religionen und Lebensstile zu Hause sind, gerade weil Deutschland immer mehr ein Land der Verschiedenheiten wird, braucht es Rückbindung aller an unumstößliche Werte“[38]. Und dann nannte er die folgenden vier:

  •  Hier ist die Würde des Menschen unantastbar.
  • Hier hindern religiöse Bindungen und Prägungen nicht daran, die Gesetze des säkularen Staates zu befolgen.
  • Hier werden Errungenschaften wie die Gleichberechtigung der Frau oder homosexueller Menschen nicht in Frage gestellt und die unveräußerlichen Rechte des Individuums nicht durch Kollektivnormen eingeschränkt … Toleranz für Intoleranz wird es bei uns nicht geben.

Und außerdem gibt es in unserem Land politische Grundentscheidungen, die ebenfalls unumstößlich sind. Dazu zählt unsere entschiedene Absage gegen jede Form von Antisemitismus und unser Bekenntnis zum Existenzrecht von Israel“ (Gauck 2015, S. 3).

Diesem Werte-Katalog werden nicht alle frommen Muslime ohne weiteres zustimmen können: Deshalb muss die Frage erlaubt sein, – Herr Bundespräsident – ob wir erwarten können und sollten, dass interkulturelle Integration gelingen kann, wenn wir ohne Rücksicht auf die religiösen und kulturellen Empfindlichkeiten der Migranten und Asylbewerber auf der Omnipräsenz unserer westlichen Werte bestehen? – auf das, was Botho Strauß die „Überprofilierung von Freiheit“ nannte?

In dieser heiklen Frage ist die Öffentlichkeit in den Demokratien der westlichen Welt gespalten: Es gibt jene, die meinen, dass beispielsweise das Prinzip der Meinungsfreiheit ohne Einschränkung gelten müsse; und es gibt die anderen, die die konträre Ansicht vertreten, dass kulturell-religiöse Minderheiten in einem Land mit ihnen fremden Mehrheitskultur einen gewissen Anspruch auf Respekt vor ihren Werten und Überzeugungen haben, – selbst dann noch, wenn diese selbst intolerante Empfindlichkeiten beinhalten würden[39].

Für das Toleranzgebot in der Geschichte des Westens gibt es diverse gute Gründe[40], wobei das Toleranzverständnis von John Stewart Mill – dem großen Liberalen des 19. Jahrhunderts – von besonderer Aktualität ist. Mill wehrte sich gegen die „Tyrannei der Mehrheit“, die als politische und gesellschaftliche Tyrannei in Erscheinung trat, weil sie dem Einzelnen vorzuschreiben sich anmaßte, was gut für ihn ist und was er besser lassen sollte. Er definierte das Prinzip, „dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit…sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumengen befugt ist, der ist, sich selber zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessen Willen man gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig Macht ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten“. Toleranz gegenüber einer anderen Kultur fände ihre Grenze an deren eigener Intoleranz. Diesem ‚Schadensprinzip‘ gemäß – schlussfolgert der Philosoph Rainer Forst – sei für jede Handlungseinschränkung eine Rechtfertigung gefordert, und allein solche Gründe seien „akzeptabel, die die Schädigung anderer zu vermeiden suchen, während Gründe, die das Wohl dessen befördern sollen, dessen Freiheit eingeschränkt wird, als Legitimation von Zwang oder Kontrolle ausscheiden“ (Forst 2003, S. 482).

Aktuell geworden ist die Bedeutung des Toleranz-Gebotes im Fall der Mohammed-Karikaturen, die in zunächst dänischen und später dann in den Zeitungen anderer Länder wie Frankreich und Deutschland veröffentlicht wurden. Am 7. Januar 2015 erlebte Frankreich den fürchterlichen Anschlag auf die Satire-Zeitschrift ‚Charlie Hebdo, bei dem vier herausragende Karikaturisten und einige Angestellte in Paris durch den Anschlag umgebracht wurden. Nach dem Willen der islamistischen Attentäter sollte die mit Blasphemie-Vorwürfen überhäufte Zeitschrift ‚beerdigt‘ werden. Aber eine Solidaritätswelle hat das verhindert[41] Zunächst stand fast die gesamte westliche Öffentlichkeit vor Empörung über diesen brutalen Gewaltakt seitens der fundamentalistisch handelnden Muslime Kopf: Das Button „Wir sind Charlie“ aus Mitgefühl mit den ermordeten französischen Karikaturisten, die ja „nur“ von ihrem Menschenrecht der freien Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatten, war höchst populär, spezielle in Frankreich und Deutschland. Aber unter Künstlern und Wissenschaften des Westens kamen bald Zweifel an der kompromisslosen Haltung der moralischen Überlegenheit bei westlichen Gesellschaften auf.

Im Mai dieses Jahres verweigerten erst sechs, dann bald über 200 prominente Mitglieder des internationalen PEN-Clubs anlässlich eines Preises für die Ehrung von Mut zur Meinungsfreiheit an die ermordeten Mitarbeiter der Satire-Magazins Charlie Hebdo posthum ihre Unterstützung[42]. Sie – PEN-Club-Schriftsteller – wollten da nicht mitmachen; aber nicht aus Feigheit gab es Bedenken, sowohl bei den Mitgliedern des PEN-Klubs als auch bei der New York Times, die die Mohammed-Karikaturen nicht nachdruckte, sondern „aus der uramerikanischen Tradition des Respekts heraus, die Rücksicht auf kulturelle Unterschiede gebietet und seit je in Spannung zu dem ebenfalls geheiligten Prinzip der Meinungsfreiheit steht. Hier einen Kompromiss zu suchen, bedeutet noch keine gedankliche Schlamperei. Toleranz gegenüber Andersdenkenden (oder Andersgläubigen) und das Recht auf freie Meinungsäußerung entspringen schließlich ein und demselben Freiheitsbegriff der Aufklärung“ (Jessen, ebd.).

Es versteht sich von selbst, dass mörderischer Fanatismus unter keinen Umständen toleriert werden kann. Gleichwohl entspräche es aber wohl dem Anliegen der offiziell verkündeten deutschen Willkommenskultur[43], dass bei auftretenden kulturellen Differenzen zwischen westlicher Demokratie und islamischen Glaubensbekenntnissen das eigene Toleranzideal nicht voll ausgereizt werden müsste, „bis es den intoleranten Kern der fremden Kultur erreicht. Wo aber sollte die Grenze sein? Erst bei offener Blasphemie? Oder schon beim Kopftuch oder der…Unterdrückung der Frau?“ (Jessen, ebd.).

Würde dieser „intolerante Kern der fremden Kultur“ erreicht – sagen wir beispielsweise die westliche Auffassung von der rechtlichen und moralischen Gleichheit der  Gläubigen und der UN-Gläubigen oder Atheisten – , was fromme Muslime als Blasphemie oder Ketzerei zu meiden und zu verurteilen von ihren heimischen Autoritäten gelernt haben – , so muss damit gerechnet werden, dass sich solche derartig befremdlich fühlenden Minderheiten der aus ihrer Sicht unerträglichen Tyrannei der Mehrheit zu entziehen versuchen werden, zum Beispiel durch heimlichen Auf- und Ausbau einer Parallelgesellschaft oder auch – was natürlich bestraft werden müsste – im Extremfall durch Ausübung von Gewalt gegen „Falsch“-Gläubige. Das prinzipiell Tragische daran ist, dass es sich in einem solchen (nicht unwahrscheinlichen) Fall um moralisch handelnde Menschen drehen würde, die aus persönlicher Überzeugung handeln und Anstand und Recht auf ihrer Seite wüssten. Sind wir auf solche Situationen, in denen vielleicht nur „Ambiguitäts-Toleranz“ weiterhilft[44] – kulturell vorbereitet?

Der Islamwissenschaftler und Arabist Thomas Bauer hat mit seinem Plädoyer für Ambiguitätstoleranz bei dem Verständnis und der Begegnung von Kulturen, für das ich auch in dem hier diskutierten Zusammenhang werben möchte, darauf hingewiesen, dass sich Kulturen und Epochen in starkem Maße dadurch unterscheiden würden, „wie Menschen Mehrdeutigkeit, Vagheit, Vielfalt und Pluralität empfinden und wie sie damit umgehen. Zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten versuchen Menschen, alle Ambiguitäten so weit wie möglich zu vernichten und eine Welt der Eindeutigkeiten und der absoluten Wahrheiten zu schaffen. Anderenorts und zu anderen Zeiten begnügen sich die Menschen damit, Ambiguitäten zu bändigen. Die unendlichen Möglichkeiten, die Welt zu verstehen und zu deuten, werden auch hier reduziert. Doch es wird nicht versucht, sie zu eliminieren, sondern lediglich, sie soweit wie möglich zu domestizieren, bis man mit ihnen gut leben kann. Die dann noch verbliebende Vielfalt wird nicht beargwöhnt, sondern dankbar angenommen“ (Bauer 2011, S. 13).

Diese Bereitschaft, unterschiedliche Deutungen desselben Phänomens zuzulassen und das Nebeneinander konkurrierender oder sogar gegensätzlicher Auffassungen zu akzeptieren, kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Auch diese Kultur der Ambiguitätstoleranz zu verinnerlichen und in einer multikulturellen Gesellschaft zu praktizieren, stellt eine ‚Herkules-Aufgabe‘ dar. Wie berechtigt dieser Ansatz ist, hat der Philosoph und Religionskritiker Herbert Schnädelbach aufgezeigt, der in Erinnerung gerufen hat, dass das christliche Erbe im „post-religiösen Zeitalter“ des Westens  doch sehr spezielle, kulturspezifische Eigentümlichkeiten aufweisen würde – wie z. B. den Marienkult und die Lehre von der Erbsünde der Katholischen Kirche oder der christliche Missionsauftrag oder das religionsfreie Verständnis der Menschenwürde und der Menschenrechte[45] – , – ein Kulturgut also, das in seinen praktischen Konsequenzen für multi-kulturelles Zusammenleben von anders sozialisierten Menschen gar nicht ohne Weiteres verstanden, geschweige denn befolgt werden würde.

Daraus ergibt sich, im Namen der praktischen Vernunft und eingedenk des oben Gesagten über das Recht von Minderheiten auf eine Vorbereitungsphase für kulturelle Anpassung als Schritt zur Integration, folgende Handlungsempfehlung:

Das Recht auf Meinungsfreiheit sollte von dem Aufnahmeland nicht bis an die Grenze der Unzumutbarkeit für anders Sozialisierte in Anspruch genommen werden, auch eingedenk der auch heute noch bestehenden politischen Machtasymmetrie zwischen europäischen Industriestaaten und den Herkunftsländern der Flüchtlinge und Asylbewerber. Letztere stellen ja immer Minderheiten dar, die sich einer fremden Kultur ohnehin wenigstens ein Stück weit unterwerfen müssen. Daher finde es zumutbar und richtig, dass Menschen aus anderen Kulturräumen mit einem anderen Wertekodex, die hier als Migranten oder Asylsuchende zu uns kommen, mit den Erwartungen und Werten der Mehrheitsgesellschaft unmissverständlich und in ihren Muttersprachen vertraut gemacht werden. Gleichzeitig sollte das Gebot der Fairness und des Respekts vor dem Anderen beachtet werden, dass die Mehrheitsgesellschaft in kulturell hoch sensiblen Fragen der Religion ihre Macht nicht dazu einsetzt, die Gefühle und Überzeugungen der fremdelnden Minderheit zu missachten oder gar zu verspotten (z. B. durch sehr radikale Karikaturen, „die kaum anders als Beleidigungen von andersgläubigen Minderheiten wahrgenommen werden können“, Jessen). Aus Respekt vor der so anderen Sozialisation von Migranten die eigenen Freiheitsrechte mal nicht voll in Anspruch zu nehmen, „bedeutet keineswegs Prinzipienverrat. Die eigenen Überzeugungen und Freiheitsrechte behalten ihre prinzipielle Gültigkeit“ (Jessen), und sie sind – das ist auch meine Überzeugung – mit dem moralischen Fairness-Gebot vereinbar, weil Anders-Gläubige in einer sozial schwächeren Position „einen erhöhten Anspruch auf Schonung“ haben (Jessen) , mögen ihre eigenen religiösen Wertvorstellungen selbst auch intolerant erscheinende Zumutungen enthalten. Die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs sprach in diesem Zusammenhang von der Aufgabe, sich mit kulturell-religiösen Unterschieden „zu befreunden“[46].

Diese Position wird sicherlich nicht von Jeder oder Jedem geteilt und dafür habe ich auch Verständnis, aber vielleicht können wir uns auf Folgendes einigen:

  1. Es gilt in Deutschland nicht eine endgültig festgelegte deutsche Leitkultur, die allen kulturellen Minderheiten Im Land vorschreiben könnte, was sie zu denken hätten; aber es gibt einige unumstößliche Grundrechte. Beim Anspruch auf religiöse Wahrheit sollten Hörbereitschaft und Ambiguitäts-Toleranz geübt werden: divergierende Überzeugungen und Normen können friedlich nebeneinander Bestand haben, vielleicht nicht immer (Hass-Reden sind nicht zu dulden), aber wohl öfters als bisher praktiziert.
  2. Religiöse Überzeugungen sind Privatsache und jeder kann demgemäß beten und leben, solange er nicht anderen damit Schaden zufügt; es gilt das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, wobei in der Praxis eine Pluralität der Lebensformen im Sinne der Ambiguitätstoleranz ausgehalten werden muss.
  3. Auch wenn ein Minimum an gemeinsamen Werten erst gemeinsam erarbeitet werden muss, gelten von Anfang an einige verbindliche „vernünftige“[47] Grundregeln des Zusammenlebens, gespeist vom ehrlichen Integrationswillen auf beiden Seiten. Drei Regeln halte ich für unabdingbar: die Gebot der Gewaltlosigkeit, der Verfassungstreue und der Fairness im Umgang mit Schwächeren.
  4. Selbst wenn keine rechtlichen Schritte gegen geschmacklose Satiren möglich erscheinen, sollte man die Diffamierung von Religionen aus Gründen der Fairness „in engen Grenzen“ halten, „um die Integration nicht zu gefährden“ –fordert auch der Heidelberger Politologe Klaus von Beyme (Beyme 2015, S. 175-176)[48].

 

Meine vier abschließenden Fragen (siehe dazu von Beyme 2015, S. 170f.) sind wirkliche Fragen und werden von mir jetzt nicht beantwortet:

  1. War die sittliche Grenze überschritten, als der englische Autor Salma Rushdie in den „Satanischen Versen“ die Frauen Mohammeds als Prostituierte verhöhnte, was ihm eine tödliche Fatwa von Ayatollah Khomeini einbrachte?
  2. War die Würde des Menschen verletzt, als Papst Benedikt XVI im Jahr 2012 von der Satire-Zeitschrift ‚Titanic‘ als ‚inkontinent‘ und mit Fäkalien beschmiert dargestellt wurde?
  3. Wird die Grenze überschritten, wenn in einer dänischen Zeitschrift eine Karikatur erscheint, in der der Prophet Mohammed mit einer Bombe im Turban dargestellt wird?
  4.  Ist die tolerierbare Grenze überschritten, wenn in Video-Botschaften von muslimischen Golf-Staaten Bilder der einstürzenden World Towers in New York mit triumphierendem Gestus gezeigt werden?Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.Weitere Literatur:Abdel-Samad,Hamed, Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland, München 2010 (Knaur)Ali, Ayaan Hirsi, Reformiert Euch! Warum der Islam sich ändern muss, München 2015Al-Jabri, Mohammed Abed, Kritik der arabischen Vernunft. Eine Einführung, 2009Amirpur, Katajun und Wolfram Weiße (Hrsg.), Religionen, Dialog, Gesellschaft. Münster und New York 2015 (Waxmann)

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[1]Bernd Ulrich, Wut ohne Grenzen. Attentate, Hetze, Tabubrüche: Kann die Politik die Aggression der Straße noch verarbeiten? in: Die Zeit Nr. 43 vom 22.10.2015, S.2; Reinhard Müller, Angst vor Kontrollverlust, in: FAZ Nr. 244 vom 21.10.2015, S. 1.

[2]Laut Bundeskriminalamt hat sich die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte von 69 Fällen im Jahr 2013 auf 198 Fälle im Jahr 2014 und auf 576 Fälle im Jahr 2015 (bis 19.10.2015), darunter 46 Brandstiftungen, gesteigert; Hamburger Abendblatt vom 23.10.2015, S. 3.

[3]Nach der 17. Shell-Jugendstudie 2015; Julia Emmrich, „Jugend interessiert sich doch für Politik“, in: Hamburger Abendblatt vom 14.10.2015, S. 3. Allgemein siehe Friedrich Wilhelm Graf, Götter Global. Wie die Welt zum Supermarkt der Religionen wird, München 2014.

[4] Mouhanad Khorchide, Gott glaubt an den Menschen. Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus. Freiburg etc. 2015 (Herder).

 

[6]Prinz Asfa-Wossen Asserate im Gespräch mit Jochen Hieber, in: „Afrikas Hoffnung verlässt den Kontinent“, in: Frankfurter  Allgemeine Zeitung Nr. 163 vom 17. Juli 2015, S. 11.

[7]Michael Mitterauer „Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs. München 2004 3. Auflage (Verlag C.H.Beck).

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[8] Siehe auch Friederike Böge, „Sie wollen raus aus Afghanistan“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ Nr. 43 vom 25.10.2015, S. 3.

[9]Eine recht genaue Chronik der politischen und militärischen Ereignisse in Syrien bietet Der neue Fischer Weltalmanach 2015, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2014, S. 441-445.

[10]Fred Pearce, Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden, München und Boston 2012 (Kunstman). Siehe auch Tetzlaff 2015.

[11]Siehe das alarmierend pessimistische Buch über Klimawandel und Erderwärmung durch Co2-Emissionen vom Cambridge-Professor Stephen Emmot, Zehn Milliarden, London und New York 2013 (Penguin Books).

[12]Auch Ex-IWF-Präsident Horst Köhler meinte auf die Frage, ob die neuen 17 Millenniumsziele Ziele mit 169 Unterpunkten nicht reines Wunschdenken seien: „Ja, das ist ehrgeizig, aber ich halte das bei entsprechendem politischen Willen für machbar. Nehmen Sie Hunger: Afrika hat 60% der weltweit ungenutzten landwirtschaftlichen Flächen, wir wissen, wie Produktivität gesteigert werden kann. Wenn wir dann endlich noch die Subventionen für die Agrarproduktion in den reichen Ländern signifikant zurückführen, kann Hunger ausgerottet werden“. Horst Köhler im Gespräch mit Christiane Grefe und Matthias Nass „So geht’s nicht weiter“, in: Die Zeit Nr. 39 vom 24.09.2015, S. 11.

[13]Mariam Lau schrieb in „Der Zeit“, dass die Islam-Verbände in Deutschland „noch immer im Schmollwinkel“ verharrten. „Die Freitagspredigten haben manchmal etwas Routiniertes, schnell Konsumierbares – da ist wenig Leben drin, wenig Theologie, nichts für junge Leute, die nach Sinn hungern. Eigentlich müsste dies also die Stunde des Aiman Mazyek sein. Sein Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) ist zwar der kleinste der vier wichtigen Verbände, doch die Bezeichnung ‚Zentralrat‘ ist eine fromme Übertreibung. Aber er ist der einzige Verband für Araber…Und jetzt bekommt Mazyek auf einen Schlag Hunderttausende potentieller Neumitglieder“, M. Lau: „Der Gott der anderen. Deutschland wird  islamischer werden. Welcher Art von Islam das sein wird, hängt auch von uns ab“, in: Die Zeit Nr. 39 vom 24.09.2015, S. 5. Eine löbliche Ausnahme bildet mit Sicherheit die Schura in Hamburg unter ihrem Vorsitzenden Mustafa Yoldas – der Dachverband aller Muslim-Vereine in Hamburg, von Sunniten und Schiiten. Grundlegend dazu Thomas Bauer 2014.

[14] Dazu gibt es wichtige Antworten bei Gudrun Krämer 2005, Matthias Rohe 2009,  und Khorchide 2015)

[15]Jürgen Dahlkamp ist da skeptisch: „Die Erbsünde. Essay: Europas Asylpolitik ist ein schmutziger Kompromiss. Aber genau das, was wir wollen“., in: Der Spiegel 39/2014, S. 24-25. Nicht weniger skeptisch ist Prof. Etienne Balibar, französischer Philosoph: „Was sich in Wirklichkeit gerade in Europa herausbildet, ist eine transnationale Front der Ablehnung von Flüchtlingen, in der die offenen rassistischen Gruppen nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Zweifellos werden wir nun erstmals etwas erleben, das bislang an Rivalitäten und Nationalismen scheiterte: die Entstehung einer gesamteuropäischen ausländerfeindlichen ‚Partei‘, die ein weites Spektrum von links bis rechts abdecken und auch die alten ‚politischen Familien‘ spalten könnte. Wie es scheint, wird das Europa der Solidarität nicht um einen politischen Kampf herumkommen, der mit der kompromisslosen Verurteilung der Gewalt gegen Migranten beginnt und mit den Forderungen nach einer Veränderung der Aufnahmebedingungen weitergeht. Es ist dieser politische Kampf, der die Europäische Union am tiefgreifensten verändern dürfte“. E. Balibar, „Stunde der Wahrheit“, in: Die Zeit Nr. 41 vom 8.10.2015, S. 54.

[16]Nach einer repräsentativenMeinungsumfrage im Oktober 2015 befürworten 56% der Bevölkerung eine Obergrenze für Flüchtlinge; eine Mehrheit der Bürger sei überzeugt, dass die Politik jegliche Kontrolle über die Einwanderung verloren habe. Bundeskanzlerin Merkel wird Realitätsverlust vorgeworfen; Renate Köhler, Institut für Demoskopie Allensbach, „Mehrheit der Deutschen besorgt über Folgen der Flüchtlingskrise. Angst vor wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.10.2015, S. 1 und S. 8. Das Handelsblatt vom 9./10./11. Oktober 2015 hatte auf der Titelseite ein Bild von Angela Merkel, Augen gen Himmel gerichtet,  mit dem Text: „In der Welt geachtet, in Deutschland umstritten: Traumtänzerin oder Friedensengel?“.

[17]Siehe auch das Schwerpunktheft „Flucht und Asyl“, in: „Aus Politik und Zeitgeschichte, 65. Jg., 25/2015 vom 15. Juni 2015 mit Beiträgen von Klaus J. Bade, Steffen Angenendt und anderen.

[18]Özlem Topcu: „Ist das unser Islam?“, in: Die Zeit vom 11.09.2014, S. 2. Dazu auch Adel Theodor Khoury, Der Islam und die westliche Welt, Darmstadt 2001, Bassam Tibi, Krieg der Zivilisationen. Politik und Religion zwischen Vernunft und Fundamentalismus, München 1998.

 

[19]In dem neuen Buch des Historikers Rolf Bergmeier über „den verkannten arabischen Beitrag“ zur christlich-abendländischen Kultur kann man dazu viel lernen, oder in den Darstellungen von Tilman Nagel, Fatema Mernissi, Mouhanad Khorchide, Ayaan Hirsi Ali, Tariq Ramadan, Hamed Abdel-Samad und Michael Borgolte: Muslime waren seit Jahrhunderten an der Entstehung Europas beteiligt. Wie verzerrt oft ihre Religion, ihr Rechtssystem und ihre gesellschaftliche Praxis im Westen dargestellt wurde, zeigt Thomas Bauer im Kapitel „Die Islamisierung des Islams“, S. 192-223.

[20]Tilman Nagel, Die Islamische Welt bis 1500, München 1998, S. 114; André Clot, Harun al-Raschid. Kalif von Bagdad, München 1990, Karen Armstrong, Kleine Geschichte des Islam, Berlin 2001, S. 74ff.

[21] Ludwig Wick, „Islam und Verfassungsstaat. Theologische Versöhnung mit der politischen Moderne? Würzburg 2009 (Ergon).

[22]Weniger glücklich verlief die Entwicklung in Ägypten und Syrien, siehe Asiem El Difraoui, Ein neues Ägypten? Reise durch ein Land im Aufruhr, Hamburg 2013 (Körber-Stiftung) und Samar Yazbek, Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution. Mit einem Vorwort von Rafik Schami, München 2012 (Nagel & Kimche).

[23]Nach Hamburger Abendblatt vom 10./11. Oktober 2015, S, 5: Nobelpreis für Tunesiens Demokraten“.

[24]Siehe den grundlegenden Reader zur dialogischen Theologie Katajun Amirpur und Wolfram Weiße (Hrsg.), Religionen. Dialog. Gesellschaft. Analysen zur gegenwärtigen Situation und Impulse für eine dialogische Theologie, Münster und New York 2015 (Waxmann).

[25]H. A. Winkler, „Scheitert der Westen an sich selbst? Der Jurist  Udo Di Fabrio sieht Europa in einer tiefen Sinnkrise“, in: Die Zeit, Nr. 40, vom 1.10.2015, S. 53.

[26]Juden in Deutschland und Frankreich haben Sorgen haben vor der Islamisierung Europas; siehe Michaela Wiegel und Hans-Christian Rößler, „Frankreich kämpft um seine Juden“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 43 vom 25.10.2015, S. 6.

[27]Bedauerlicherweise hat es bisher im Jahr 2015 nur 190.000 Plätze für Integrationskurse gegeben – für ca. 1 Million Flüchtlinge und Migranten. Auch Asylbewerber müssen vier Monate und mehr auf solche Integrationshilfen warten, nach Hamburger Abendblatt vom 23.10.2015, S. 1.

[28]Michael Kiefer forscht und lehrt am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück: Angesichts der von Olivier Roy beschriebenen Lage plädiert er für den „Dialog als Methode der Radikalisierungsprävention“. So lautet auch sein Beitrag in Katajan Amirpur und Wolfram Weiße (Hrsg.), Religion. Dialog. Gesellschaft, 2015, S. 83-96. Olivier Roy, Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen, München 2010 (Siedler).

[29] Mit Säkularität ist die Trennung von Staat und Kirche bzw. Moschee oder von Politik und Glauben gemeint; nicht etwa Säkularismus im Sinne von Glaubensverlust.

[30]Ednan Aslan in einem Gespräch mit Evelyn Finger: „Islam, bitte aufgeklärt“, in: Die Zeit, Nr. 40, vom 1.10.2015, S. 62. Aber es gibt auch andere, stärker differenzierende Positionen etwa zum Thema muslimische Frauen. Die iranische Richterin Shirin Ebadi, die im Jahr 2003 den Friedensnobelpreis für ihren friedlichen Kampf für Menschenrechte erhielt, schreibt in ihrer Autobiographie:

[31]PEGIDA steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ und ist hauptsächlich in Dresden aktiv. Diese rhetorisch maßlose Diffamierung des Islams ist kein ganz neues Phänomen; z. B. gab es seit Jahrhunderten „die Türkengefahr“. Siehe Almut Höfert, Den Fein beschreiben. ‚Türkengefahr‘ und europäisches Wissen über das Osmanische reich 1450-1600, Frankfurt am Main 2003 (Campus) und Thomas Kramer, Der Orient-Komplex. Das Nahost-Bild in in Geschichte und Gegenwart, Ostfildern 2009 (Jan Thorbecke Verlag).

[32]Naika Foroutan: „Wir brauchen ein neues Leitbild“, in: Der Spiegel Nr. 42, vom 4.10.2015, S. 32. Siehe auch Norbert Lammert (Hrsg.), Verfassung . Patriotismus . Leitkultur. Was unsere Gesellschaft zusammenhält, Bonn 2006 (Bundeszentrale für politische Bildung). Es beinhaltet die Ansichten von 42 prominenten Autoren aus Politik, Kultur und Wissenschaft im Jahr der deutschen Fussball-Weltmeisterschaft.

[33]Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann beschrieb ihre Haltung als „unverkrampft“, „experimentierfreudig“, als „ausgeruht, nirgendwo überspannt, ein bisschen selbstdistanziert und positiv dem eigenen Land gegenüber“. „Was treibt sie an? ‚Das wird die Generation R‘‘, in: Die Zeit Nr. 42 vom 15.10.2015, S. 67.

[34]Botho Strauß: „Der letzte Deutsche. Eine Glosse“, in: Der Spiegel Nr. 41/2015, S. 122-124, hier S. 123.

[35] WolfgangBöckenförde, zit. nach Mark Siemons, „Woher kommt das Ressentiment? in: Frankfurter Allgemeines Sonntagszeitung Nr. 35 vom 30.08.2015, S. 39.

[36]Naika Foroutan, „Brauchen wir ein Leitbild für das neue Deutschland“, in: Der Spiegel Nr. 42 vom Oktober 2015, S. 33.

[37]Islam-Konferenz, siehe Internet-Seite: http://www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/Startseite/startseite-node.html

[38] Bundespräsident Joachim Gauck: Auszüge aus seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 40 vom 4.10.2015, S. 3.

[39]Bundeskanzlerin Merkel hat wie folgt die deutschen Grundwerte definiert: „“Unsere Bundesrepublik hat ein starkes Fundament: das Grundgesetz, die soziale Marktwirtschaft, unsere Zugehörigkeit zur EU, die NATO, die Sicherheit Israels. Diese Grundpfeiler werden uns immer tragen. Und jeder, der zu uns kommt und hier die Freiheit hat, seine Religion auszuüben und seine Meinung zu sagen, hat diese Grundpfeiler zu akzeptieren. Das werden wir gegenüber allen, die neu zu uns kommen, durchsetzen“. Angela Merkel „Ich werde keine Scheinlösungen vorschlagen“, in: FAZ vom 17. 10. 2015, S. 5. Nach meiner Einschätzung könnte es bei Flüchtlingen aus Nahost-Ländern vor allem bezüglich der Sicherheitspolitik Israels einen Dissens geben. Palästinenser und Araber einerseits und Zionisten, Juden und manche Westeuropäer und US-Amerikaner andererseits haben konträre Ansichten über die Ursachen von Gewalt im Nahen Osten und über die Auswege aus der explosiven Situation in Israel und den Palästinensergebieten. Es ist politisch ratsam und ethisch geboten, von allen Beteiligten eine Hörbereitschaft für alle Narrative zu entwickeln und einzufordern. Siehe dazu Robert I. Rotberg (Ed.), Israel and Palestinian Narratives of Conflict. History’s Double Helix, Bloomington 2006 (Indiana University Press).

[40] Siehe dazu Rainer Forst, Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs, Frankfurt am Main 2003 (Suhrkamp TB).

[41]Klaus von Beyme, Religionsgemeinschaften, Zivilgesellschaft und Staat. Zum Verhältnis von Politik und Religion in Deutschland, Wiesbaden 2015 (Springer VS), S. 171).

[42]Jens Jessen, „In den Sackgassen der Toleranz. Sind Mohammed-Karikaturen imperialistisch?…“, in, Die Zeit Nr. 19 vom 7. Mai 2015, S. 47.

[43]Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in dem Gespräch mit der FAZ vom 17.10.2015 über die Flüchtlingskrise „Ich werde keine Scheinlösungen vorschlagen“ und dann die Schlussfolgerungen gezogen, dass wir erstens die europäischen Außengrenzen wirksam schützen, zweitens innerhalb der EU eine faire Verteilung der Flüchtlinge erreichen und drittens die Fluchtursachen angehen müssen“ (FAZ Nr. 241 vom 17.10.2015, S. 5). Die Erreichung aller drei Ziele ist noch in weiter Ferne und kaum vorstellbar, weil konkrete Pläne und Zusagen der Partner fehlen.

[44]Thomas Bauer, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams,  Berlin 2011 (Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag)

[45]Herbert Schnädelbach, Religion in der modernen Welt. Vorträge, Abhandlungen, Streitschriften, Frankfurt am Main 2009 (Fischer TB). Er selbst wirbt für den Grundsatz, Religion unter das Kuratel der Vernunft zu stellen und Vernunft und Glaube als komplementäre Lernprozesse zu verstehen (S. 149).

[46]Kirsten Fehrs in der Podiumsdiskussion mit Bürgermeister Olaf Scholz und anderen am 22.10.2015 anlässlich der Veranstaltung der Akademie der Weltreligionen, Universität Hamburg,  „Religiöser Pluralismus und Säkularität“.

[47]Mir ist bewusst, dass die Frage, was hier „vernünftig“ genannt werden könnte, von hoher Komplexität ist. Als anregende Lektüre dazu ist zu empfehlen: Jürgen Habermas und Joseph Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion“,  Freiburg, Basel, Wien 2011, 8. Auflage (Herder)

[48]Klaus von Beyme hat sich auch mit rechtlichen Aspekten von Blasphemie und Selbstzensur sowie mit weiteren religionspolitischen Konflikten kritisch und kenntnisreich auseinandergesetzt, in: Religionsgemeinschaften, a. a. O., 2015, S. 149ff.

Stand vom Sonntag, 25. Oktober 2015